Unternehmenskultur

Kamera an oder aus in remote Team-Meetings? Kommt drauf an!

Kommunikation ist extrem wichtig - für uns als Menschen und für uns als Unternehmen. Umso mehr, seit wir 2020 zu Remote-Only-Arbeit übergegangen sind. Fünf Jahre später arbeiten wir immer noch remote, erfolgreich und vor allem gerne zusammen. Das liegt auch an unserer Gesprächskultur und ein Teil davon ist, wie wir mit Kameras in Team-Meetings umgehen.

Artikel von:
Malte
Veröffentlicht am:2025-06-24

In diesem Beitrag

Wir führen zwei große wöchentliche Team-Meetings durch: Montags eine Wochenplanung und Freitags einen Wochenrückblick, jeweils mit 9-10 Personen und 45-60 Minuten Dauer. Außerdem haben wir ein monatliches Meeting zu unseren “internen Baustellen” und alle paar Monate Teambesprechungen außer der Reihe.

Alle Teilnehmer:innen tragen dazu bei, diese Meetings möglichst wertvoll zu gestalten. Als Moderator trage ich aber oft eine besondere Verantwortung dafür. Für mich bedeutet das zum einen, dass wir aus Unternehmenssicht wichtige Informationen und Aufgaben abstimmen. Und zum anderen, dass die Teilnehmer:innen das Gefühl haben, dass sie ihre Zeit wertgeschätzt, sinnvoll und möglichst angenehm aufwenden.

Bei beidem hilft es unterm Strich, wenn möglichst viele Teilnehmer:innen ihre Kamera eingeschaltet haben.

Der Vorteil eingeschalteter Kameras: Nonverbale Kommunikation

Bewusst gegebene nonverbale Signale

Durch Gestik und Mimik können Teilnehmer:innen schon während jemand anderes spricht Signale geben: Nicken für Zustimmung, Kopfschütteln für Ablehnung, eine Grimasse für Klärungsbedarf, eine hochgehaltene Kaffeetasse als ELMO-Signal ("Enough, let's move on") und so weiter:

Mehrere Personen zeigen in einer Videokonferenz verschiedene Gestiken und Mimiken, z.B. hochgezogene Augenbrauen, in den Händen vergrabene Gesichter, Daumen hoch, hochgerissene Arme und eine in die Kamera gehaltene Kaffeetasse
Teilnehmer mit bewusst gegebenen nonverbalen Signalen

Redner:innen bekommen so unmittelbares Feedback und können darauf reagieren. Sie müssen nicht “auf Verdacht” in die Leere ausgeschalteter Kameras sprechen (was sich für viele sehr merkwürdig anfühlt und Wortmeldungen sogar verhindern kann). Und sie müssen nicht explizit um Feedback bitten, was Meetings anstrengend und langwierig machen kann.

Zum Vergleich:

Ein Videokonferenz-Fenster, in dem der Sprecher nur sein eigenes Bild sieht und alle anderen ihre Kameras ausgeschaltet haben. Ein Großteil des Bildes besteht aus Platzhaltern, der Sprecher wirkt im Vergleich klein, einsam und unsicher.
Die Leere ausgeschalteter Kameras

In welcher Situation würdest Du Dich als Sprecher:in wohler fühlen?

Eingeschaltete Kameras zeigen aber noch mehr als die bewusst gegebenen nonverbalen Signale, nämlich:

Unbewusst gegebene nonverbale Signale

Das herzliche Lachen über einen gelungenen Scherz, das kurze gequälte Grinsen nach einem schlechten Scherz - oder die Ungläubigkeit, Betroffenheit und Verärgerung nach einem richtig fies daneben gegangenen Scherz: Das ist spontanes, nicht bewusst gesteuertes, körpersprachliches Feedback, das die Meetings menschlicher macht und allen Teilnehmer:innen hilft, die Stimmung wahrzunehmen und entsprechend zu reagieren.

In meiner Moderator-Rolle suche ich laufend nach weiteren unbewusst gegebenen Signalen, um das Meeting dynamisch zu steuern:

  • Schaut jemand verwirrt? Dann kann ich ihm Gelegenheit für eine Frage geben.
  • Zögert jemand, sich zu melden? Dann kann ich mir das merken und bei günstiger Gelegenheit nachfragen, ob da noch etwas offen ist.
  • Kommt jemand mit seiner Wortmeldung wiederholt nicht durch? Dann kann ich ihm explizit Redezeit einräumen.
  • Sehen manche Teilnehmer erschöpft oder genervt aus? Dann kann ich eine Pause anregen.

Selbst neutrale Gesichter sind für mich als Moderator hilfreich:

  • Falls alle Zuhörer:innen aufnahmebereit schienen und auf eine Information nicht z.B. mit Verwirrung oder Ablehnung reagiert haben, kann ich davon ausgehen, dass die Information verteilt und angenommen wurde.
  • Wenn ich keinen Redebedarf mehr erkenne, kann ich ein Thema schließen und zum nächsten Tagesordnungspunkt übergehen, ohne langwierig bei allen Teilnehmer:innen einzeln die Zustimmung zu holen.
  • Falls die Gesichter zu lange neutral bleiben, kann ich mich fragen, ob das Meeting zu passiv geworden ist und es durch Interaktion auflockern.
  • Falls eine einzelne Person länger ein neutrales Gesicht behält und sich nicht zu Wort meldet, kann ich gezielt im oder nach dem Meeting nachfragen, ob sie vielleicht gar nicht in diesem Meeting (bzw. weiteren dieser Art) sein möchte.

Und sogar, wenn das Kamerabild nur einen leeren Stuhl zeigt, hilft mir das als Moderator mehr, als gar keine Bildübertragung zu haben. Denn dann wissen alle Teilnehmer:innen, dass jemand das Gespräch gerade nicht mitbekommt oder zumindest nicht reagieren kann - und wann die Person zurückkommt.

Ein leerer Stuhl, auf dem normalerweise ein Videokonferenzteilnehmer säße
Dieser offensichtlich abwesende Teilnehmer bekommt gerade vermutlich nichts mit

Wenn eingeschaltete Kameras so viele Vorteile haben: Sollten Teilnehmer:innen ihre Kameras dann einfach immer einschalten?

Nein. Denn eingeschaltete Kameras haben auch Nachteile. Und die wollen wir nur in Kauf nehmen, wenn die Vorteile überwiegen. Das ist keine triviale Abwägung, zumal hier eine persönliche Komponente drinsteckt. Deshalb haben wir uns darüber ausgetauscht, was für uns gute und schlechte Gründe für ausgeschaltete Kameras sind.

Gute Gründe für ausgeschaltete Kameras

Kleingruppen

Wenn die Anzahl der Teilnehmer:innen klein genug ist, kann es ihnen ausreichen, ihr Mikrofon laufend ein- und die Kamera ausgeschaltet zu lassen. Bei zwei Teilnehmer:innen ist das wie in einem klassischen Telefonat, in dem sie beispielsweise durch Geräusche wie “hm” je nach Intonation verschiedene Signale senden können.

(Ab etwa 4 Personen lassen wir zur Vermeidung von Störgeräuschen das Mikrofon oft aus bzw. schalten es nur für unsere Redezeit ein. Ab diesem Zeitpunkt wird es für die nonverbale Kommunikation dann wichtig, die Kameras einzuschalten.)

Screensharing-Themen

Wir haben häufiger Meetings zur Arbeit an konkreten technischen Problemen, beispielsweise beim Pair Programming. Da ist uns Screensharing dann wichtiger als Mimik und Gestik. Die kann sogar ablenken und stören, weil der Bildschirmplatz und vor allem unsere Aufmerksamkeit und Konzentration begrenzt sind.

Im Gegensatz dazu empfiehlt Adrian Bolboacă in seinem Buch “Practical Remote Pair Programming” ein Setup mit mehreren Monitoren inklusive Video-Feed. Vielleicht fühlt sich das für uns nicht wichtig an, weil wir schon ein eingespieltes Team sind.

Ablenkende Bewegungen

Irgendwas müssen wir in unseren Meetings richtig machen: Denn obwohl sie nicht verpflichtend sind, nehmen manche von uns gelegentlich sogar von unterwegs teil.

Wenn sie oder der Hintergrund sich in ihrem Kamerabild zu stark bewegen und dadurch andere Teilnehmer:innen ablenken würden, schalten sie ihre Kamera nur während ihrer Redezeit ein - wenn überhaupt.

Ein unruhiger Hintergrund kann leicht ablenken

Zoom Fatigue

Insbesondere lange Videokonferenzen können uns belasten, geistig und körperlich erschöpfen: die sogenannte Zoom Fatigue. Jeremy Bailenson bietet interessante mögliche Erklärungen für die Ursachen - und legt Ideen nah, mit denen wir uns davor schützen können. Ein paar davon greife ich hier auf und ergänze sie um unsere Erfahrungen.

Zum Ersten könnten wir den Stress der konstanten Selbstbewertung reduzieren, indem wir das eigene Bild im Meeting ausblenden. Wobei mir persönlich diese Idee nicht hilft: Denn ich empfinde das Ausblenden des eigenen Bildes eher als stressigen Kontrollverlust. Tatsächlich mochte sich niemand in unserem Team mit der Idee anfreunden - aber es mag Menschen geben, denen das hilft.

Zum Zweiten müssen wir uns nicht selbst im frustum einsperren. Das Wort musste ich erst nachschlagen: englisch für Kegel- oder Pyramidenstumpf. Hier meint es den von der Kamera erfassten 3D-Ausschnitt, in dem man sich aufhalten muss, um das Bild nicht zu verlassen. Hat etymologisch also nichts mit Frust zu tun, aber als Eselsbrücke reicht's: Sperren wir uns nicht selbst im Frustraum ein.

Bewegen wir uns ein bisschen! Ich habe nachgefragt: Keine:n von uns stört es, wenn jemand anderes in unseren internen Meetings beispielsweise die Arme hinter dem Kopf verschränkt, sich auf einer Couch lümmelt oder mal die Füße hochlegt und sie dabei in die Kamera hält.

Ebenso wenig stört uns ein bisschen geistige Bewegung. So, wie wir in vor-Ort-Gesprächen den Blick mal schweifen lassen oder etwas kritzeln, können wir das auch in remote Team-Meetings tun. Mein Lieblings-Blickfang ist mein Hund, den ich auch zwischendurch gerne streichle, um die Gedanken kurz zu lösen.

Ein Hund steht neben einem Schreibtisch und schaut erwartungsvoll in die Kamera. Er trägt ein Geweih-Stück so im Maul, dass es an die Hauer eines Wildschweins erinnert.
Ist es ein Hund? Ist es ein Wildschwein? Auf jeden Fall will es gestreichelt werden!

Manche von uns haben gefühlt 90% der Zeit an der Kamera vorbei geschaut: Sie haben die Laptop-Kamera zur Aufnahme benutzt, die Videos der anderen aber auf einem externen, größeren Monitor im Blick behalten. Auch solche hohen an-der-Kamera-vorbei-schauen-Anteile haben uns nicht unmittelbar gestört. Seitdem wir darüber gesprochen haben, haben sich aber schon mehrere Kollegen externe Kameras gekauft und auf ihrem externen Monitor platziert, um leichter Blickkontakt halten zu können. (Solche Käufe sind bei uns zum Glück ganz unbürokratisch - jeder kann einfach die Firmenkreditkarte nutzen.)

Zum Dritten können wir bei unserer Meeting-Kultur ansetzen. Wir können die Anzahl, Dauer und den Teilnehmerkreis der Meetings gering halten, in dem wir:

  • möglichst viel asynchron regeln
  • möglichst viel im kleinen Kreis (gegebenenfalls zu zweit) regeln
  • Team-Meetings freiwillig machen
  • Team-Meetings gut vorbereiten - vor allem die Agenda im Vorfeld bekanntgeben, so dass jede:r Gelegenheit hat, sich inhaltlich vorzubereiten. Ich habe den Eindruck, dass sich jede Minute zur Vorbereitung vielfach im Meeting auszahlt.
  • regelmäßige Pausen während der Team-Meetings einlegen. Wenn wir erwarten, dass ein Meeting insgesamt länger als eine Stunde dauert und wir aktuell noch mehr als zwanzig Minuten vor uns haben, legen wir oft alle 25-30 Minuten eine 5-minütige Pause ein. Selbst, wenn sich das manchmal wie eine Zwangspause anfühlt und man doch eigentlich noch weiter reden könnte, hilft es, in der Pause aufzustehen und sich ein bisschen zu bewegen, um mit frischem Kopf weitermachen zu können.
  • darüber reden, wenn etwas an der Meeting-Kultur für uns nicht passt, und nachsteuern.

Individuelle Gründe

Wenn sich jemand unwohl fühlt und nur noch kurz etwas übergeben oder sich vom Team ins Krankenbett verabschieden möchte, braucht er oder sie sich dafür natürlich nicht vor der Kamera zu präsentieren.

Es gibt sicher noch weitere gute individuelle Gründe, Videokameras auszuschalten. Beispielsweise können neurodivergente Personen Videokonferenzen als Reizüberflutung wahrnehmen und dadurch beeinträchtigt werden. Ich versuche gar nicht erst, eine Liste der guten individuellen Gründe zu erstellen. Ich versuche lieber, im Zweifelsfall zuzuhören und ins Gespräch zu kommen.

Schlechte Gründe für ausgeschaltete Kameras

In unserem Austausch zu den Gründen ausgeschalteter Kameras haben wir nur einen “schlechten” Grund ausgemacht: Der Kollege nutzte seinen Laptop zugeklappt und hatte nur die darin eingebaute Kamera zur Verfügung. Ihm war gar nicht bewusst, dass wir sein Bild häufiger vermissten - und hat dann gleich angeboten, seinen Laptop häufiger aufzuklappen oder eine externe Kamera zu verwenden.

Wenn jemand die Kamera ausgeschaltet hat…

… begrüßen wir es, wenn die Person auch außerhalb ihrer Redezeiten Signale gibt, beispielsweise durch:

  • die Melden-Funktion
  • Emoji-Reaktionen
  • kurze Chat-Nachrichten:
    • “+1” für Zustimmung
    • “-1” für Ablehnung
    • “/” für Gleichgültigkeit
    • “?” für Fragen
    • “brb” für “be right back”
    • “re” für “returned”
    • ...

Schlussgedanken

Wir haben alle schon im Vorfeld ein ganz gutes Gefühl dafür, wie wichtig die visuelle nonverbale Kommunikation für ein Team-Meeting wird. Wenn wir über soziale Themen oder auf konzeptueller Ebene in größerer Runde miteinander sprechen wollen, ist “Kamera an” unser Default. Wenn wir zu zweit oder dritt oder über ein Screensharing-Thema sprechen wollen: “Kamera aus”.

Für die “Kamera an”-Team-Meetings nutzen wir Google Meet, für die “Kamera aus”-Meetings Slacks Huddle als Konferenztool. Wenn wir auf einer dieser beiden Plattformen zu einem Meeting einladen, kommunizieren wir also implizit schon eine Erwartung an die Kameras. Wenn sich im Laufe eines Meetings das gewählte Tool nicht mehr richtig anfühlt, wechseln wir einfach auf das andere.

Als wir das Thema für uns aufgearbeitet haben, stand die Frage im Raum, ob wir uns Regeln für die Nutzung der Kameras geben wollen. Ich selbst hatte eingangs damit geliebäugelt, mich dann aber vom Gegenteil überzeugen lassen und am Ende lautete die einhellige Antwort “Nein”. Wir glauben nicht, dass starre Regeln hier sinnvoll sind.

Schon durch die Besprechung der Problematik haben wir unser Bewusstsein dafür geschärft, unser gegenseitiges Verständnis ausgebaut und sind aufeinander zugegangen. Auch das ist für mich Teil unserer Gesprächskultur - und damit ein Grund, weshalb wir immer noch gerne remote, erfolgreich und vor allem gerne zusammen arbeiten.
 

Interesse geweckt?

Wir hören gerne zu, wenn Sie Fragen oder Anmerkungen zu diesem Thema haben. Und wenn Sie ein Projekt, ein Produkt, ein Problem oder eine Idee mit uns besprechen möchten, freuen wir uns erst recht über ein Gespräch!

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